Erzähl es Deinen Kindern – Die Torah in fünf Bänden

Darius Gilmont (Illustrator) / Bruno Landthaler (Bearbeitung), Ariella Verlag, Berlin 2014 – 2016

Essay aus „JuLit“, Publikation des „Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V.“, München 2014/3:

Vorausgeschickt, in aller Kürze und ohne Gewähr:

I.

Die hebräische Bibel entspricht dem „Alten Testament“, im Judentum heißt sie Tanach. Der erste Teil des Tanach ist die Torah, die aus den fünf Büchern Mose besteht plus 613 Vorschriften.

Die Torah ist für das jüdische Volk „Das Buch der Bücher“, das es am Berg Sinai direkt von G’tt[1]empfangen hat. Ohne Torah kein jüdisches Volk. Die Sprache der Torah ist das Hebräische.

II.

Zwischenbemerkung:

Christliche Bibeln für Kinder gibt es in Deutschland ohne Ende, meistens umfassen diese sowohl das „Alte“ als auch das „Neue Testament“, was sie für jüdische Familien mit ihren Kinder nicht besonders attraktiv macht.[2]

Zudem besteht das Judentum auf eine eigene Auslegung der Torah. Die Torah bestimmt den synagogalen Gottesdienst und ist durch die Nähe zur hebräischen Sprache geprägt.

III.

Dieses Jahr hat der kleine Berliner Ariella Verlag, der derzeit einzige jüdische Kinder- und Jugendbuchverlag Deutschlands, mit einer großen Sache begonnen. In fünf Etappen wird er eine Torah für Kinder herausgeben, die fünf Bücher Mose also, für jüdische Kinder „bis 12 Jahre“.[3]“Bereschit – Am Anfang“ heißt der erste Band, der seit April vorliegt. Vier weitere Bände werden folgen.[4]

IV.

Der Ariella Verlag das ist Myriam Halberstam, geboren in New York, aufgewachsen in Frankfurt am Main, es folgten Tel Aviv, New York, Köln. Heute fühlt sie sich mit ihrer Familie in Berlin zu Hause.

Weil sie für ihre Kinder keine deutschen Kinderbücher, die in einer normal-jüdischen Welt spielten, fand, hat sie selbst eine Geschichte geschrieben, die zum Buch gemacht[5]und gleich den passenden Verlag dazu gegründet. Den ersten jüdischen Kinder- und Jugendbuchverlag in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg. Das war 2010. Seitdem bringt Myriam Halberstam in jedem Jahr mindestens ein neues Buch in ihrem Ariella Verlag heraus.

V.

Während der Weimarer Republik gab es entsprechend der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der jüdischen Bevölkerung im deutschsprachigen Raum eine reiche jüdische Kinder- und Jugendliteraturszene in deutscher, hebräischer, jiddischer und russischer Sprache. In Berlin zählte man allein 40 jüdische Verlage und Buchhandlungen, die sich mehr oder weniger auch der jüdischen Kinder- und Jugendliteratur angenommen hatten. Während des Dritten Reichs lässt sich von einer erzwungen Blüte der jüdischen Presse, des jüdischen Verlagswesens und eben auch der jüdischen Kinder- und Jugendliteratur sprechen, jetzt zwar zur „Ghetto-Literatur“ degradiert, dennoch als geistige Kraftquelle von den Menschen intensiv genutzt, wahrgenommen und geschätzt.

1938 endete für die Juden abrupt jede Möglichkeit, Druckwerke herzustellen. Nur die Zeitung das „Jüdische Nachrichtenblatt“ existierte bis 1943 weiter. Es informierte die jüdische Bevölkerung über die nächsten Anordnungen und Maßnahmen der National­so­zialisten.

Nach dem Krieg – die letzten DP-Lager hatten sich Ende der 50er Jahre aufgelöst – entstanden in Deutschland sehr verhalten, sehr isoliert von der nichtjüdischen Bevölkerung, wieder erste jüdische Gemeinden aus Menschen, die in den deutschen Städten hängen geblieben oder zurück gekehrt waren: Überlebende, unter ihnen auch Kinder. Irgendwie ging es weiter. Die nächste Generation wurde geboren.

Über 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, heute vor 50 Jahren, erschien 1964 „Die Bibel für Kinder“ von Abrascha Stutschinsky[6], einem Lehrer der „Israelitischen Cultusgemeinde Zürich“, „ein faszinierendes Lehr- und Lesebuch, das Kinder jüdischer und christlicher Religion zu beglücken vermag“. Die betonte Hinwendung zur christlichen Seite war sicher der Zeit und den ersten Annäherungsversuchen geschuldet. Dennoch lässt sich klar erkennen: Hier schreibt ein jüdischer Autor, der die jüdische Jugend erreichen möchte, worauf bereits das dem Buch vorangestellte Zitat des hebräischen Dichters Chaim N. Bialik deutlich hinweist:„Wer die jüdische Nation kennen will,/ der lerne die Agada kennen.“ Die „Agada“ (sic), so erklärt Stutschinsky ein wenig populär, beinhaltet „herrliche biblische Sagen des jüdischen Altertums“, mit denen er die „wortgetreue biblische Überlieferung“ zu „schmücken“ gedenkt.

20 Jahre nach Stut­schins­kys „Jugendbibel“ erschienen „Die Geschichten der Bibel für Kinder“ von Joachim Prinz.[7]Joachim Prinz war von 1926 an Rabbiner in Berlin gewesen, 1937 hatte er Deutschland in Richtung USA verlassen. Seine „Geschichten der Bibel“ aus den 80er Jahren sind nichts anderes als ein Nachdruck eines erstmals 1934 in Nazi-Deutschland erschienenen Buches! Wir haben es hier also mit einem Titel zu tun, der als Zeitdokument zu lesen ist, und der 1934 selbstverständlich an jüdische Kinder gerichtet war (Joachim Prinz hatte sich schon recht früh scharf gegen jede Assimilation gewendet, war zudem glühender Zionist gewesen). Den Umständen und seinem Ansinnen entsprechend hatte er aus den „Geschichten“ aus der Bibel, Heldengeschichten gemacht.

Aus dem Hebräischen übersetzt erschien 1996 im religiösen jüdischen Morascha Verlag aus Zürich und Basel „Meine kleine Tora“[8], die erste „Bibel“ nach 1945 in deutscher Sprache, die sich ausdrücklich und ausschließlich an jüdische Kinder wendet, worüber ein Junge mit Kippa, der vom Titel herunterstrahlt, keine Zweifel lässt. Das großformatige Buch geht nach den Wochenabschnitten (Paraschot) vor, so wie sie in der Synagoge Woche für Woche vorgelesen werden, und gibt den Inhalt der Torah begleitet von lässig hingeworfenen, comichaften Zeichnungen wieder, manchmal witzig, jedenfalls insgesamt recht dynamisch. Dabei werden zusätzlich Anweisungen für den täglichen Umgang mit den Gesetzen, Geboten und Verboten gegeben. Einzelne Worte erscheinen auf Hebräisch. Wie der gesamte Verlag, so richtet sich auch dieses Buch an religiöse Familien und deren Kinder, eine Welt für sich innerhalb der jüdischen Gemeinschaft.

VII.

Jetzt also, im Jahre 2014, aus dem jüdischen Ariella Verlag eine Kindertorah in fünf schmalen Bänden, versehen mit einigen farbenfrohen Bildern des israelischen Künstlers Darius Gilmont, die sich an den Sehgewohnheit der Jüngeren unter den Lesern und Betrachtern orientiert. Hanna Liss, Professorin für Bibelauslegung an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, und der Judaist Bruno Landthaler haben den Text in engem Kontakt mit Kindern „übertragen“. Dabei konnte es nicht Ziel sein, Martin Buber und Franz Rosenzweig nachzueifern, die in ihrer Bibelübertragung ins Deutsche den Inhalt zu einer eigens geschaffenen Sprache werden ließen.[9]Vielmehr ging es darum, die Autorität eines heiligen Textes nicht anzurühren, trotz der gezielten Hinwendung zum jungen Leser und Hörer.

Dass die Kinderbibel durchdacht und vielschichtig nutzbar ist, wird schon beim ersten Querlesen klar. Auch ihr Aufbau richtet sich nach den Paraschot. Es gibt gekennzeichnete Passagen, die „die Kleinsten“ überspringen können, Informationen zum liturgischen Gebrauch, eine Randspalte für Erwachsenen (was die Altersangabe „bis 12“ eine wenig fraglich macht), Passagen im hebräischen Original, Namen werden in der „hebräischen Lautung“ wiedergegeben.

Diese Torah für Kinder hat etwas Versöhnliches an sich, weil man ihr zutraut, dass sie durch ihren wissenden, doch auch offenen Ton („manche Rabbinen meinen…“)fähig ist, die jüdische Gemeinschaft trotz unterschiedlicher Strömungen gemeinsam auf intellektuellem Niveau zu erreichen, schließlich auch die (Erwachsenen) mit ins Boot zu holen, die nicht mit der Torah groß geworden sind (wie viele der aus den ehemaligen Sowjetstaaten zugewanderten Menschen).

VIII.

Die Torah ist ein Stück Identität, die sich die jüdische Gesellschaft in Deutschland Stück für Stück neu erarbeitet. Die Kinder spielen dabei eine wichtige Rolle, und deshalb ist die erste „Kindertorah“ in Deutschland nach 1945 ein Ereignis, das am liebsten keines wäre, sondern die normalste Sache der Welt. Nicht ausschließend, sondern bereichernd. Nicht trennend, sondern stärkend.

Katrin Diehl

 

Literatur:
Völpel, Annegret / Shavit, Zohar: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur, ein literarischer Grundriss. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag 2000
Hyams, Helge-Ulrike / Klattenhoff, Klaus / Ritter, Klaus / Wißmann, Friedrich: Jüdisches Kinderleben im Spiegel jüdischer Kinderbücher. Wissenschaftliche Beiträge, Band 1 und 2, Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg 2001
Kümmerling-Meibauer, Bettina (Hrsg.): Jüdische Kinderliteratur. Ausstellungskatalog, Wiesbaden 2005

 

Artikel „Jüdische Allgemeine“:
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/18927

Link zu „www.jugendliteratur.org“:
http://www.jugendliteratur.org/julit-2014-3.html

 

 

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