Der kleine Prinz

Antoine de Saint-Exupery (Autor), Joann Sfar (Illustrator), Carlsen Verlag, Hamburg 2009

Rezension: Die Leser zeigten sich irritiert. Man schrieb das Jahr 1943, als der bereits be­kannte Antoine de Saint-Exupéry die Erwach­senenwelt mit der fantasiebegabten und verletzlichen Kinderseele konfrontierte. „Der kleine Prinz“ kam zu früh. Er war sei­ner Zeit voraus. Jahre mussten vergehen, bis Wesen seiner Art Einzug hielten in die Literatur, noch etwas später in die Kinderliteratur. Die Erfolgsgeschichte des „kleinen Prinzen“ begann. Das Buch wurde Kult, der kleine Prinz nach Strich und Fa­den vermarktet, fand sich wieder auf Lätzchen, Briefbögen und Kopfkissenbezügen – nur eine Frage der Zeit also, bis es ihn auch als Comichelden geben sollte. Joann Sfar hat die Adaptierung des Klassikers gewagt, der nur dann ideeller Erfolg beschieden sein konnte, wenn sie sich unverdorben abseits vom Kommerz bewegte. In Frank­reich wurde Sfars „kleiner Prinz“ bereits als beste Graphic Novel für junge Leser ausgezeichnet. Dort ist Sfar, geboren 1971 in Nizza, ein Star unter den Comiczeichnern. In Deutschland machte er durch die wunderbaren Bände über die „Katze des Rabbiners“ auf sich aufmerksam. Eine Hommage an das schönste Buch seiner Kindheit sei sein „kleiner Prinz“, teilt der Verlag mit. Keine schlechte Voraussetzung. Was man als Kind gelesen hat, sitzt tief. Vielleicht hatte der kleine Joann, nach dem frühen Verlust seiner Mutter, ein wenig Halt in Saint-Exupérys Buch gefunden. Vielleicht stellte er eine nicht ganz koschere Verbindung her zwischen der Kabbala, in die ihn der Großvater eingeführt hatte, und der Planetenwelt des klei­nen Prinzen. Später studierte Sfar Philosophie. Die Kunst kam erst danach. „Die Logik ist These, Antithese, Synthese. Die jüdische Lehre ist These, Antithese, Antithese, Antithese“, lässt er die Katze des Rabbiners einmal sagen. Voller Antithesen steckt auch der kleine Prinz. Im Comic lässt er sie auf den Rücken des Piloten, der Exupérys Züge trägt, prasseln. Doch der ist damit beschäftigt, seine Flug­ma­schine wieder in Gang zu bringen. Er fühlt sich nicht zuständig für Synthesen, stattdessen umarmt er. Da stehen sie dann. Der Pilot und der kleine Prinz. Sie halten sich aneinander fest und aus den tellergroßen Augen des kleinen Prin­zen werden Seen. Sfar schreckte nicht vor sentimentalen Momenten zurück, das war er seiner Liebe zu diesem Buch wohl schuldig. Natürlich geht es in Exupérys „kleinem Prinzen“ auch ums Zeichnen, um die Kraft der Bilder, um Reaktionen und Illusionen, die von wenigen Strichen auf einem Stück Papier ausgehen, um Sfars Metier also. Wer könnte das Bild vom Elefanten im Bauch der Riesenschlange vergessen, das alle „Großen“ für einen Hut hielten, wer den Satz „bitte … zeichne mir ein Schaf!“. Sfar schreibt und zeichnet am Original entlang mit eigener Gewichtung, angezogenem Tempo und einigen mehr oder weniger gelungenen zeichnerischen Ideen. Dabei schafft er es, den weltbekannten Bildern Exupérys an keiner Stelle zu nahe zu treten. Er lässt dem kleinen Prinzen seine Erkennungsmerkmale. Mit seinem typischen Strich – krakelig, nervös, skizzenhaft, weit weg von jeder ligne claire und mit viel Schraffur -, macht er ihn jedoch zu einem eigenen Wesen, das „hihi“ und „haha“ lachen darf und dem Original nicht im Wege steht.

Die Erstausgabe von Saint- Exupérys „kleinem Prinzen“ erschien 1943 in New York, was den Pariser Gallimard Verlag sehr wütend machte, hatte sich Exupéry doch bei ihm vertraglich verpflichtet. Er brachte später einen leicht veränderten Text heraus. Zum Beispiel sieht darin der kleine Prinz die Sonne auf seinem Planeten nur noch 43 statt 44 mal untergehen. Bei Sfar geht sie wieder 44 mal unter.

Katrin Diehl (Jüdische Allgemeine Wochenzeitung, 2009)

 

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