Zickzackkind

David Grossman, Hanser Verlag, München 2000

Rezension (Aufbau, New York 1996):
Am Ende ist Nono, das „Zickzackkind“, angekommen. Zwar nicht in Haifa, wie geplant, dafür aber bei sich. In wenigen Stunden wird er seine Bar Mizwa feiern, und irgendwo wird noch ein wenig Staub von Israels Landstraßen an ihm kleben. Zu seinem Fest verlassen wir Nono, verblüfft über die Verdichtung und das perfekte Timing der Ereignisse auf über 400 Seiten, einfach begeistert von dieser neuen Geschichte des israelischen Autors David Grossman.

Es ist schwer, zu berichten, was da wirklich passiert ist. Ereignisse, die sich überschlagen, lassen sich schwer zähmen. Ganz brav saß Nono, eigentlich Amnon Fejerberg, jedenfalls im Zug von Jerusalem nach Haifa. Dort wartet Onkel Schmuel auf ihn, Verfasser von sieben Werken zum Thema Erziehung und Staatsbürgerkunde. Der soll den Jungen eine Woche vor dem großen Ereignis unter seine Fittiche nehmen. Aber ganz so gemein sind dann Vater und Gabi doch nicht. Im Gegenteil. Moment, wer ist Gabi? Gabi gehört zur Familie und doch auch nicht. Der Vater drückt sich vor der Entscheidung, seiner ehemalige „Schreibkraft“ endgültig das heißersehnte „Ja“ zu schenken. Gabi, eine wunderbare Natur, ein wunderbarer Charakter, klug, lebenslustig, ohne jedes Durchhaltevermögen im Kampf gegen ihre überflüssigen Pfunde, Gabi kümmert sich um Nono und den Vater und liebt beide. Als ein Bar Mizwa Geschenk der besonderen Art hatten Vater und Gabi den Verlauf von Nonos Bahnreise vom Wohnzimmertisch aus geplant. Sie scheuten keine Mühe, engagierten Schauspieler, die die Rollen von Zugpassagieren übernahmen. Absurde Szenen spielen sich vor Nono ab. Er muß Zettelchen folgen, Fragen beantworten und Abenteuer bestehen. Nono fühlt sich wie in einem Theaterstück, in dem er der einzige unter den Beteiligten ist, der nicht weiß, was als nächstes passieren wird. So weit so gut, recht gut sogar. Auch Nono zeigt sich schwer beeindruckt. Aber die eigentliche Geschichte beginnt erst später, dann nämlich, als ein „Fremder“ beginnt, sich in das geplante Spiel einzumischen, er Nono magisch anzieht, ihn dem Schutz des Vaters langsam entzieht. Nono merkt das nicht gleich, bis er erschrocken feststellen muß, daß der Vater mit dem neuen Verlauf der Geschichte nichts mehr zu tun haben kann. Nono ist auf die schiefe Bahn geraten. Der Fremde nämlich ist Felix Glick, der Felix Glick. Natürlich kennt Nono diesen Namen, wer kennt ihn nicht? Oft genug hatte er die ersten Seiten der Zeitungen geschwärzt und lange genug hatte sein Vater diesen berühmten Gentlemanganoven gejagt. Ja, Nonos Vater ist Polizist, leitender Kommissar, und wie besessen auf der Suche nach allem Illegalen. Diese „Leidenschaft“ hat er seinem Sohn eingeimpft: „Mit fünf Jahren: Welches Kennzeichen hatte der Wagen? Wie viele Ampeln gibt es auf dem Weg? Wie startet man ein Auto ohne Schlüssel? Mit zehn überreichte man mir zum Geburtstag ein Album mit Phantombildern …, und mit zwölf verordnete er mir Übungen auf dem Schießstand der Polizei.“ Nono bewundert seinen Vater, und jetzt muß er erfahren – peu à peu -, daß Felix Glick sein Großvater, dessen Tochter Sohara seine Mutter ist. Hübsch war sie, federleicht, unfaßbar, voller Freiheitsdrang und voller Mißachtung der Regeln, die ihrem Leben im Wege standen. Und wer ist er nun? Wer ist Nono? „Ich war der Sohn eines Polizisten und einer Kriminellen. Man könnte platzen. Es war zum Auseinanderreißen in zwei Teile.“

Diesem Buch Auszeichnungen in der Sparte „Jugendbuch“ vorauszusagen, ist nicht schwer, und sicher, ein Jugendbuch ist es auch, so wie es auch ein Abenteuerbuch ist. Vielleicht kann man sagen, daß vor allem die aufregende Suche nach den eigenen Wurzeln den jugendlichen Touch der Geschichte ausmacht, die Identitätskrise seine Erwachsenenkomponente ist. Sie fällt schwächer aus. Da ist zu oft von Blut als dem Wesensträger die Rede. Polizistenblut, Verbrecherblut…, und beides soll sich in Nono vermischen. Aber so einfach ist das hoffentlich nicht. Die zweite und auch schon letzte negative Anmerkung betrifft die Übersetzung des Textes aus dem Hebräischen(von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling). Sie ist ab und zu flüchtig, holperig und wirkt manchmal modisch.
David Grossman, 1954 in Jerusalem geboren, zählt in Israel zu den bedeutenden Erzählern der Gegenwartsliteratur. Auch in Deutschland kennen ihn immer mehr, nicht zuletzt, weil bei den sogenannten Zwischenfällen im Nahen Osten die großen Zeitungen gerne seine Stimme einholen. Und wenn er einmal über etwas anderes erzählen darf, lobt er zu Recht seine beiden Söhne. Erst wenn sie seinen Manuskripten zustimmen, kann an eine Publikation gedacht werden.

Katrin Diehl

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